Albrecht Fersch

Realklotz

2008 - Performance in der Galerie Nord des Kunstvereins Tiergarten, anlässlich der Moabiter Inselglück Kulturtage / Berlin

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2011 - zum Performerstammtisch des Flutgraben e.V. / Berlin

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Eine Arbeit über die Frage, wie ich Realität konstruiere und wie die Realität mich konstruiert.

Durchsichtiges Gedankengespinst im Kopfkasten. Bereitschaft hat keine Farbe, offen zu sein bedeutet, keine Farbe zu bekennen. Glasklare Klarheit. Ein Spinnennetz, in dem sich Fragmente aus dem Publikum einfangen. Die ideelle Welt ist makellos und rein. Die Wirklichkeit dagegen ist gesegnet mit Klebestellen, Flecken und Kratzern. Mein Innenraumkonstrukt im Außendienst trifft auf Außenirdische. Meine Fremdheit zieht eine Schneise durch die Fremde. Ich hinterlasse eine Spur, ihr hinterlasst Spuren. Beim Durchlaufen des Wahrgenommenwerdens bleiben Ideologien an mir hängen. Zunehmend verkleben sie meine Rezeptoren. Zuweilen werde ich zugetextet.
Wir blicken durch Fenster auf die Welt. In der gegenseitigen Durchströmung schützt uns nur eine wasserdichte, transparente Plastikfolie. Gekleidet in das Fell der erlegten Discount-Beute. Zudem ein weiblich wirkendes Kleid unter dem ein nackter männlicher Körper hindurchschimmert. Aus Mann wird Frau wird Mann. So will es diese Geschichte.
Hinter mir zieht sich die schimmernde Spur, der Ariadnefaden, mit dem sich der Weg zurück finden lässt, der Arachnefaden, der die Gedanken einfängt.
Das Nest war Entstehungsort. Öffne nun die Tür. Die Geburt schiebt dich nackt in die Welt hinaus. Alle Menschen, die ich kenne, sind nackt. Wie frisch aus dem Ei gepellt hängt noch eine zweite durchsichtige Haut an mir. Was denn verstecken? Wir alle verlangen nach Kontakt, nährende Berührung, verhedderte Fliegen zucken im Netz, Gedankensplitter werden angeheftet. Denkzettel. Ich verliere den Durchblick.
Ich durchquere lediglich einen Raum - aber, mein Gott, was für ein komplexer Vorgang ist das. Es geschehen so viele Dinge, in uns, zwischen uns, durch uns, unablässig, nur die allerwenigsten Geschehnisse können überhaupt bewusst registriert werden. Der Gehirnknoten ist überfordert.
Stummheit. Vielleicht ein leises Grummeln. Der erste Zettel ruft Reaktion hervor. Zischen, stöhnen, brummen, ächzen. Töne, die zunehmend musikalisch werden. Es muss doch geschehen, es muss doch geschehen, dass ich meine Stimme erhebe und Mensch werde.
Jeder Schritt bedeutet loslassen und neu ankommen. Gehmeditation. Gehen ist beten. Und mit jedem Schritt wird das Ziel unausweichlicher. Eine Reise besteht aus einer Ansammlung von vielen einzelnen Handlungen, die ihr eigenes Ankommen generieren.
Stelle den schwer gewordenen Klotz auf einen Sockel und da steht sie nun, die Realität, mit all ihren Verschrumpelungen, Zufälligkeiten, Dürftigkeiten und wortreichen Komplizierungen. Wer ordnet das, was in mich einströmt? Was bleibt in mir hängen, was nicht schon vorher meins war? Ich werde nur der Welt gewahr, die ich schon vorher in mir trage.
Die Realität, zerbrechliches Dingchen, das stets das Erscheinungsbild ändert. Trotz ihrer Zerbrechlichkeit engt sie ein und die Sehnsucht will sich aus ihr befreien; wo aber würde ich dann landen? Wo kam ich überhaupt her?
Fertig. Die Performance ist beendet. Ich lege das Kostüm ab und ziehe mich um. Der Übergang zwischen Bühne und Parkett, vom Laufsteg zurück in die Menge. Der Übergang geschieht öffentlich. Ich verschwinde unter Sehenden. Die Wirklichkeit ist immer und überall. (2008)